Patrick - Geschichte eines Kämpfers
Patrick wünscht sich ein ganz normales Leben, und dafür kämpft er – und wir kämpfen mit ihm.
Patrick lebt schon sehr lange auf der Straße. Es gab eine Zeit, in der er es fast geschafft hatte, alles hinter sich zu lassen, und ein Neuanfang war greifbar nah. Doch über diesen Weg, den ich mit Patrick gegangen bin, werde ich ein anderes Mal berichten.
Am 26. Februar 2024 musste Patrick seine Obdachlosenunterkunft verlassen und fand sich erneut auf der Straße wieder. Dabei hatte er so sehr auf einen Platz in der Entgiftung und im Anschluss auf einen Therapieplatz gehofft. Krank und ohne Perspektive schlug er sein Lager im Bushäuschen am Hauptbahnhof auf. Sein Zustand verschlechterte sich fast täglich, und er kämpfte ständig mit neuen Entzündungen an den Händen. Zum Glück konnte er sich in der Apotheke am Hauptbahnhof zumindest etwas Hilfe holen, denn dort wird niemand abgewiesen.
Am 29. Februar 2024 hatte Patrick auch Wunden im Gesicht, was mich dazu veranlasste, meine Schwester Gaby, die Krankenschwester ist, zu holen. Wir wollten wissen, was los war, denn es wurde immer schlimmer, sogar sein Rücken war bereits in Mitleidenschaft gezogen. Gaby hat die Wunden gereinigt und professionell versorgt, soweit das auf einem Parkplatz eben möglich ist. Es war klar, dass er zum Arzt musste, doch das war trotz Krankenversicherung nicht einfach. Zudem hatte er Angst, denn sein Zustand verschlechterte sich zusehends, und die Hoffnungslosigkeit nahm überhand. Während dieser Zeit habe ich mich um einen Entgiftungsplatz bemüht und immer wieder Material zur Wundversorgung in der Fliederbergapotheke besorgt.
Nachdem alles versorgt war, führte Patrick ein Telefonat mit einer Entgiftungsklinik im Taunus – das müssen die Betroffenen selbst erledigen. Jetzt hieß es, die Daumen zu drücken, denn in etwa einer Woche sollte ein Platz für ihn frei werden.
Am 4. März 2024 besuchte ich Patrick früh am Hauptbahnhof, wie jeden Tag, um ihm das Nötigste zu bringen. Es war sofort klar, dass er dringend zum Arzt musste. Also ging es zu der Ärztin, die ihm bereits Medikamente verschrieben hatte, da er keinen Hausarzt mehr hatte. Ich begleitete ihn in die Praxis, denn die Angst war allgegenwärtig – man sah ihm ja an, dass er auf der Straße lebt. Patrick hatte große Angst, und auch ich konnte meine kaum verbergen, denn er sah schrecklich aus. Er hatte starke Schmerzen und einen Druck in der linken Brust, war kaltschweißig, und sein Daumen war so stark angeschwollen, dass er nur noch aus einer großen, mit Sekret gefüllten Blase bestand. Er hatte Tränen in den Augen, die Schmerzen waren fast unerträglich.
Nach langem Hin und Her verschrieb die Ärztin ihm Penizillin, doch sie weigerte sich, die Wunden zu untersuchen, geschweige denn ihn abzuhören, obwohl er immer wieder sagte, er habe Angst zu sterben. Sie meinte nur, dass er bald in die Entgiftungsklinik gehen würde und dort alles Weitere geklärt werden könnte.
Ich brachte Patrick zurück zum Hauptbahnhof und richtete ihm seinen Schlafplatz ein. Er wollte erst einmal schlafen, konnte sich jedoch nicht alleine hinlegen, da er so starke Schmerzen hatte, dass er weder die Schuhe an- noch ausziehen konnte, geschweige denn den Reißverschluss des Schlafsacks schließen. Ich musste noch einmal zur Praxis fahren, weil die Ärztin vergessen hatte, mir ein Rezept für die Klinik mitzugeben, das er dringend benötigte. Ich bestellte alles in der Apotheke und schaute noch einmal nach Patrick. Seinen Freund, der auf der anderen Seite der Glaswand schlief, instruierte ich, auf Patrick zu achten und mich im Notfall zu rufen.
Am 5. März 2024 fuhr ich wieder früh zum Bahnhof, um Patrick zu wecken und ihm mitzuteilen, dass ich schnell sein Penizillin in der Bahnhofsapotheke holen würde. Er wollte unbedingt mitkommen, da er sich schon am Morgen die Wunden hatte versorgen lassen. Diese sahen noch schlimmer aus, und er hatte Fieber. Das Personal in der Apotheke tat wirklich alles für ihn und behandelte ihn vor allem wie einen Menschen, nicht wie einen Aussätzigen. Patrick setzte sich in der Apotheke hin, und während ich kurz etwas mit dem Chef klärte, der die Arbeit mit Obdachlosen und Bedürftigen schon seit Langem unterstützt, ging plötzlich alles ganz schnell: Patrick griff nach einem Eimer zum Erbrechen, er war klatschnass, ihm lief das Wasser nur so aus dem Gesicht. Er sagte nur, dass er jetzt sterben würde, er weinte und war verzweifelt. Auch ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten, denn die Angst, dass er es wirklich nicht schaffen könnte, war in diesem Moment überwältigend. Eine Mitarbeiterin der Apotheke rief sofort den Notruf, denn Patrick kollabierte plötzlich.
Er wurde mit Verdacht auf eine Sepsis ins Klinikum gebracht. Seine Vitalwerte waren schlecht, und er hatte Fieber. In der Apotheke hatte ich direkt mit dem Penizillin begonnen, was zum Glück nicht wieder erbrochen wurde. Der Notdienst notierte das, um es weiter verabreichen zu können. Nach einigen Stunden in der Klinik sagte Patrick, dass sein Daumen chirurgisch versorgt werden sollte – er müsste geöffnet werden, und anschließend müsse er die Klinik wieder verlassen. Es wurden einige Untersuchungen durchgeführt, aber der Chirurg hatte einfach keine Zeit. Patrick hatte wegen des Fiebers großen Durst, doch es wurde immer nur gesagt, dass er gleich etwas bekommen würde, was jedoch nicht geschah. Da er wusste, dass er die Klinik verlassen müsste, hatte er Angst, seinen Schlafplatz nicht zu bekommen, denn ich hatte alles in meinem Auto. Also verließ er die Klinik einfach, um sicherzustellen, dass er bei dieser Kälte nicht ohne Decke und Schlafsack war. Er fuhr zurück zum Hauptbahnhof, wo ich bereits mit Moni und Richard auf ihn wartete, denn ohne Hilfe hätte ich das nicht geschafft. Ich hätte ihn abgeholt, aber er war bereits unterwegs.
Als wir uns auf dem Parkplatz trafen, brach Patrick zunächst zusammen. Er sagte nur, dass er diese Nacht nicht überleben würde – es war so schlimm, und man kann kaum in Worte fassen, wie diese Situation wirklich war. Ich hatte versucht, ihn unterzubringen, doch nicht einmal im Hotel war dies möglich.
Es war nicht einfach, ihn zu seinem Schlafplatz zu bringen, denn er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wir mussten ihn stützen und all seine Sachen tragen. Moni und Richard kümmerten sich darum, dass er etwas zu trinken bekam und gut eingepackt war. In der Zwischenzeit ging ich zur Bundespolizei und schilderte den Fall. Mir war es wichtig, dass in der Nacht regelmäßig jemand nach ihm schaut, ob er ansprechbar ist, und im Notfall den Rettungswagen ruft. Wir blieben lange bei ihm, denn es sollte sein letzter Abend auf der Straße sein. Zwischenzeitlich kam die Zusage, dass er am Mittwoch in die Entgiftungsklinik kommen könne.
Am 6. März 2024 holte mich meine Schwester Gaby zu Hause ab. Gepackt hatte ich bereits am Vortag, als Patrick in der Klinik war. Ich war so froh, dass wir an diesem Tag in den Taunus fahren konnten. Zum Glück hatten die Polizisten wirklich fast jede Stunde nach Patrick geschaut und ihn geweckt, um sicherzustellen, dass es ihm gut ging. Sie hatten ja mitbekommen, dass es ihm immer schlechter ging. Mir war es wichtig, dass jemand bei der Fahrt dabei ist, der im Notfall helfen kann, und auch Patrick war erleichtert, denn er kannte meine Schwester, da sie sich schon lange um die Menschen auf der Straße kümmert.
Es war eine sehr emotionale Fahrt mit gemischten Gefühlen, denn Patrick hatte in letzter Zeit nur negative Erfahrungen gemacht. Jetzt war es eine Fahrt in ein neues Leben. Bis zu diesem Punkt wusste er, dass ich jeden Tag bei ihm war, um ihm Essen, Trinken und Kleidung zu bringen. Wir sprachen viel über sein Leben, und natürlich war auch der Suchtdruck ein ständiges Thema, da er täglich eine gewisse Menge Bier benötigte. Das sollte jetzt jedoch der Vergangenheit angehören.
Kaum in der Klinik angekommen, war es wie eine andere Welt. Patrick wurde so liebevoll aufgenommen, und auch wir wurden so freundlich behandelt, wie ich es selten erlebt habe. Patrick kam direkt zum Arzt, während Gaby und ich die Sachen aus dem Auto holten und die Formalitäten erledigten. Danach verabschiedeten wir uns noch kurz und machten ein paar Erinnerungsfotos. So konnte Tag eins von Patricks neuem Lebensabschnitt beginnen. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass Patricks Entzündungswerte sehr hoch waren. Ohne das Penizillin und die gesamte Wundversorgung wäre Patrick auf der Straße gestorben – das wurde uns erst dann richtig bewusst. Auch die Menschen in der Apotheke am Hauptbahnhof haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass Patrick noch eine Zukunft hat.
Normalerweise hätte Patrick nach der Entgiftung in das sogenannte Nahtlosverfahren, also übergangslos in die Reha für Suchterkrankte, gehen sollen. Leider kam es anders, da nicht alle Informationen von der Suchtberatung weitergegeben wurden.
Am 27. März 2024 zog Patrick ein Gebäude weiter in eine Übergangseinrichtung. Dort sollte er bleiben, bis alle Anträge für die Reha gestellt waren – was man auch alles in Darmstadt hätte erledigen können. Da weder Patrick noch ich die Suchtberaterin in Darmstadt erreichen konnten, unterschrieb Patrick alles, was verlangt wurde. Andernfalls wäre er nicht aufgenommen worden, und nach drei Wochen Entgiftung wollte er nicht zurück auf die Straße, er hatte ja ein Ziel. Nun lief alles über den Landeswohlfahrts-verband. Da der bürokratische Aufwand so groß war, sagte man ihm, dass er nun mindestens drei Monate dortbleiben müsse. Dass es ein Nahtlosverfahren gibt, wussten die Sozialarbeiter dort gar nicht – ich zeigte ihnen dann Webseiten, auf denen sie das nachlesen konnten. Aber es war zu spät, sie konnten nichts mehr ändern.
Also versuchte ich, die Anträge selbst zu stellen. Die Reha-Einrichtung gab mir Anweisungen, wie es geht. Als ich alles beisammen hatte, auch den Sozialbericht der Suchtberaterin in Darmstadt, dachte ich, es würde schneller gehen. Doch die Papiere lagen wieder eine Weile auf einem Schreibtisch, wegen Urlaub und Krankheit, und dann stellten die Sozialarbeiter fest, dass der Sozialbericht gar nicht unterschrieben war. Aber wen kümmert es, dass Patrick eine Therapie braucht, um mit dem Erlebten und dem Suchtdruck umzugehen? Stattdessen bekam er den Vorschlag, in die Kreativwerkstatt zu gehen oder zu töpfern. Dass es sich hier um eine Übergangseinrichtung und keine Reha handelt, wo diese Angebote nur zwei Stunden in der Woche stattfinden, interessiert niemanden.
Am 12. April 2024 hatte Patrick Ausgang und kam nach Darmstadt, um einen Kaffee in der Stadt zu trinken. Er brauchte auch Kleidung, Tabak und Eiweiß, denn er trainierte jeden Tag, um sich abzulenken. Mit einem wöchentlichen Taschengeld von 20 Euro kann man sich das alles nicht leisten – Wäsche waschen, Kaffee, Milch, Zucker sowie Tabak und ab und zu etwas Süßes müssen davon bezahlt werden. Wenn ich Päckchen schickte, wurde sein Taschengeld gekürzt. Aber der Tag mit Patrick war sehr schön, vor allem zu sehen, wie gut er wieder aussah. An diesem Tag schöpfte er viel Kraft und fuhr hoch motiviert zurück.
Am 19. Juni 2024 war Patrick wieder in Darmstadt – 126 Tage waren seit seinem Zusammenbruch in der Apotheke vergangen. Der Chef Hossein Arashloozadeh e.K. und die PTAs freuten sich riesig, Patrick so zu sehen. Ich hatte sie zwar immer auf dem Laufenden gehalten, aber ihn selbst zu sehen, war etwas ganz anderes. Natürlich gab es auch ein Fotoshooting als Erinnerung. Wir gingen wieder einkaufen und tranken Kaffee, und dann ging es zurück mit dem Zug in den Taunus.
Kurz vor dem Wechsel von der Übergangseinrichtung in die Reha kam Patrick noch einmal nach Darmstadt. Es war während der Europameisterschaft, und der Zug war voller Fußballfans, die natürlich auch Alkohol getrunken hatten. Patrick hatte an diesem Tag großen Stress mit einem Mitbewohner und wollte alles hinschmeißen – er stand mit gepackter Tasche vor mir. In Frankfurt beim Umsteigen hatte er sich von seinem letzten Geld ein Bier gekauft und mich angerufen. Wir riefen dann seine Suchtberaterin in Darmstadt an, doch sie war gerade am Telefon, und die Kollegin sagte ihr, sie solle Patrick oder mich zurückrufen. Es ging nur um einen Notfallplan, damit er die paar Tage noch unterkommen könnte, ohne seinen Rehaplatz zu gefährden. Leider kam bis heute kein Rückruf, obwohl sie ihm immer sagt, er könne sie jederzeit kontaktieren – die Realität sieht jedoch anders aus. Ich sprach dann sehr lange mit Patrick und versuchte, ihm Hoffnung zu machen, dass er bald Menschen um sich hat, die ihm helfen, mit dem Suchtdruck und seiner Vergangenheit klarzukommen. Er warf die Bierdose ungeöffnet weg, und ich war so stolz auf ihn, denn ich habe immer an ihn geglaubt und tue es weiterhin. Er hatte sich nur verbal gegen den Mitbewohner gewehrt und dachte, er würde Ärger bekommen. Daher wollte er die Notbremse ziehen und einem Rauswurf zuvorkommen.
Wir riefen in der Einrichtung an und sagten, dass er zurückkommt. Stundenlange Gespräche überzeugten ihn, nicht kurz vor dem Ziel aufzugeben. Denn wer so lange ohne Therapie und Ablenkung durchhält, will es wirklich schaffen. Er war auch nie alleine – ich hatte immer Kontakt zu ihm und den Sozialarbeitern in der Einrichtung. Zum Glück hatte der Sozialarbeiter auch mitbekommen, was der Mitbewohner mit Patrick gemacht hatte, und somit war Patrick vollständig rehabilitiert.
Am 15. Juli 2024, genau 131 Tage nach dem Zusammenbruch, bin ich unglaublich stolz – und Patrick auch. Diese Zeit war alles andere als einfach, vieles ist passiert, Gutes und Schlechtes, aber Patrick hat durchgehalten und ist jetzt in der Reha. Alle Ängste sind fast verflogen, denn nach den ersten Wochen hat sich alles eingespielt, und auch die Therapeuten sind großartig. Patrick wird es schaffen, und wenn er die Therapie abgeschlossen hat, bekommt er von mir als Geschenk seinen Gesellenbrief, denn er ist Maler und Lackierer. Was der Gesellenbrief kostet, weiß ich nicht, aber ich werde ihn besorgen.
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